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Im Blickfeld: Die frühere Eisschnellläuferin Dr. Heike Kahl über ihre sportliche, schauspielerischen und beruflichen Erfahrungen / Einstige Wahl-Schwerinerin Helga Haase war ihre Trainerin


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Aufnahme (Marko Michels): Die Wismarerin Jacqueline Börner und die Rostockerin Karin Kessow.

Eisige Zeiten sind die Mecklenburger und Vorpommern gewohnt. Das gilt „wettermäßig“ wie sportlich. Denn: Der deutsche Nordosten brachte in den vergangenen 50 Jahren immer wieder international erfolgreiche Eisschnellläuferinnen bzw. Eisschnellläufer und Kurzbahn-Eisschnellläuferinnen sowie -Eischnellläufer hervor.

 

Unter der Ägide von Trainerin Karin Schmidt konnten sich einige Athletinnen und Athleten des ESV Turbine Rostock zwischen 1998 und 2010 für die olympischen Short Track-Wettkämpfe qualifizieren, so Katrin Weber, Anne Eckner, Arian Nachbar, Ulrike Lehmann, Andre Hartwig und Aika Klein. Moritz Kreuseler, ebenfalls vom ESV Turbine Rostock, startete 2016 hingegen noch bei den Olympischen Jugend-Winterspielen in Lillehammer.

 

Im Eisschnelllaufen, also auf den „normalen“ Kanten, sorgten Sportlerinnen und Sportler aus M-V oder mit M-V-Wurzeln zudem für große Erfolge.

 

Das olympische Eislauf-„Vorspiel“ aus M-V-Sicht machte Helga Obschernitzki-Haase, die bis 1952 in Schwerin-Neumühle lebte, in der heutigen Landeshauptstadt M-V damals auch Handball spielte und 1960 als Mitglied des SC Dynamo Berlin bei den Winterspielen 1960 in Squaw Valley Gold über 500 Meter sowie Silber über 1000 Meter erkämpfte. Vier Jahre später, 1964 in Innsbruck, war sie immerhin noch Vierte über 1000 Meter und Fünfte über 1500 Meter.

 

Große Erfolge feierte ebenfalls die gebürtige Wismarerin Jacqueline Börner. Sie erkämpfte nach ihrem Weltmeistertitel im Mehrkampf 1990 bei den Winterspielen 1992 in Albertville außerdem Gold über 1500 Meter. Sechzehn Jahre zuvor, bei den Winterspielen 1976 in Innsbruck, präsentierte sich gleich eine Rostocker Troika auf dem olympischen Eisschnelllauf-Oval: Karin Kessow, die Weltmeisterin im Mehrkampf 1975, Heike Lange, die Vize-Weltmeisterin 1975 beim Sprint-Weltchampionat, und Horst Freese, der mehrfache DDR- und dann bundesdeutscher Meister im Eisschnelllaufen.

 

In Innsbruck gab es für die Drei leider kein Edelmetall. Karin Kessow belegte Platz fünf über die 1500 Meter sowie Platz vier über die 3000 Meter, Heike Lange schaffte die Ränge zehn (500 Meter) bzw. acht (1000 Meter) und Horst Freese kam auf den neunten Platz über 1000 Meter.

 

Zwölf Jahre später, 1988, beeindruckte dann wieder ein Eisschnelläufer aus M-V unter den fünf olympischen Ringen. Der gebürtige Barther Roland Freier kam 1988 bei den Olympischen Winterspielen in Calgary zu jeweils Rang acht über die 5000 Meter und 10000 Meter.

 

Die bereits erwähnte Heike Lange, verheiratete Kahl, sorgte aber nicht nur als Eisschnellläuferin für Furore. Als Achtjährige spielte sie die Mariken in dem Film von Herrmann Zschoche „Lütt Matten und die weiße Muschel“ nach dem Buch von Benno Pludra mit. Nach Ende ihrer erfolgreichen sportlichen Karriere bis 2021 war die promovierte Germanistin insgesamt 27 Jahre Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung.

 

Nachgefragt bei Frau Dr. Heike Kahl

 

Dr. Heike Kahl über ihre Filmrolle als Mariken in „Lütt Matten und die weiße Muschel“, ihren Weg zum Eisschnelllaufen, über die einstige Wahl-Schwerinerin bzw. Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Helga Haase, ihre Tätigkeit für die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung und ihre Verbundenheit zu M-V

 

„Der Sport war ja ein Gesamtkunstwerk, aus vielen kleinen Höhe- und Wendepunkten...“

 

Frage: 50 Jahre (1963) liegen die Dreharbeiten auf Hiddensee zum Kinderfilm „Lütt Matten und die weiße Muschel“, der 1964 erschienen ist, zurück. Wie kam es damals zum Engagement. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit den Dreharbeiten und dem Film an sich?

 

Dr. Heike Kahl: Ich erinnere mich an den damaligen Sommer auf Hiddensee, dort wo der Film gedreht wurde, als den schönsten Sommer meiner Kindheit. Das schöne Abenteuer, in einem Film mitzuwirken, im Filmteam gut aufgehoben zu sein, paarte sich mit einem großen Gefühl von Freiheit und unbeschwerter Freude. Das alles ist in meinen Erinnerungen fest verankert.

 

Der Film wird ja noch heute im Sommer auf Hiddensee gezeigt, und im letzten Herbst gab es sogar eine Sonderausstellung zum Film im dortigen Heimatmuseum.

 

Gefunden wurde ich über ein, heute würde man es Casting nennen. Da ich im hinteren Teil der Mädchen war, die vorsprechen sollten, hatte ich das Glück zu überlegen, was ich wohl besser machen könnte. Und das hat geklappt. Man hatte im Vorfeld in Schulen nach Mädchen mit langen blonden Haaren Ausschau gehalten.

 

Frage: Die junge Schauspielerin wurde dann eine erfolgreiche Eisschnellläuferin… Wann entdeckten Sie ihr Herz für das Eisschnelllaufen? Was waren für Sie persönlich die absoluten Highlights Ihrer sportlichen Karriere?

 

Dr. Heike Kahl: Ich bin eigentlich ganz zufällig zum Eisschnelllaufen gekommen. Karin Kessow, die ja auch ausgesprochen erfolgreich wurde, wohnte mit mir im gleichen Haus.

 

Sie fragte irgendwann, ob ich nicht einfach mitkommen wolle. Ich wollte, und wir waren fortan ein gutes Team, teilten nicht nur Erfolg, sondern sind auch zusammen nach Berlin zur Sportschule gekommen, haben sogar im Internat zusammen gewohnt. Und trainiert haben wir auch gemeinsam in einer Trainingsgruppe.

 

Es liegt auf der Hand, dass ich als Höhepunkt die Sprintweltmeisterschaft 1975 nennen werde. Aber eigentlich war der Sport ja ein Gesamtkunstwerk, das sich aus vielen kleinen Höhe- und Wendepunkten zusammensetzt: gemeinsam im Team zu trainieren, den Sport auf dem Eis wie einen Tanz zu empfinden, die Freude und Genugtuung, wenn man ein Zwischenziel erreicht hat oder eine super Zeit gelaufen ist. Dazu: Wunderbare Aufenthalte in Medeo, damals der schönsten und schnellsten Bahn in Kasachstan, das Gefühl, an körperliche Grenzen zu gehen. Natürlich die Olympischen Spiele und die Reisen.

 

Bei all dem gab es aber auch immer eine Kehrseite der Medaille: das wachsende Gefühl, ein Rennpferd zu sein, das aus dem Stall geholt wird, wenn es gebraucht wird, aber dass man als Persönlichkeit, als Mensch eigentlich keine Rolle gespielt hat. Trainingsumfänge, die das Maß des Möglichen überschritten hatten…

 

Frage: Eine ehemalige Wahl-Schwerinerin, Helga Haase, war die erste Eisschnelllauf-Olympiasiegerin der DDR. Hatten Sie Kontakt zu ihr?

 

Dr. Heike Kahl: Oh ja! Helga Haase war meine erste Trainerin in Berlin. Sie war eine strenge, aber fürsorgliche, fordernde, aber auch sich kümmernde Trainerin, deren Credo war, dass Eisschnelllauf eine Ausdauersportart ist und die Sportlerinnen und Sportler langsam an Trainingsumfänge herangeführt werden müssen.

 

Ich glaube mich zu erinnern, dass Achim Franke 1973 das Training übernommen hat, der ja als ehemaliger Eishockeyspieler aus Weißwasser kam. Mit ihm wurde das Training umfangreicher, das Regime strenger.

 

Frage: Die „dritte Karriere“ war jene als Germanistin – sie studierten Germanistik an der Humboldt-Uni Berlin und promovierten dort auch. Warum gerade Germanistik? Und: Wie waren Ihre ersten beruflichen Erfahrungen

 

Dr. Heike Kahl: Ich liebte immer schon die Literatur, Bücher, Theater. Und ich konnte mir nicht vorstellen, beruflich etwas anderes zu machen, als in diesem Feld zu arbeiten. Negativ betrachtet, könnte ich auch sagen, dass meine Talente auf anderen Gebieten weniger stark ausgeprägt waren.

 

Ich fand meine erste Anstellung in der Akademie der Künste Berlin. Wieder ein Ort großer geistiger Freiheit, aber besonders der Ort berühmter Handschriften, Literaturarchive und Primärquellen - von Heinrich Mann, Bertolt Brecht und vieler anderer.

 

Frage: Bei der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung prägten Sie dann von 1994 bis 2021 eine Ära. Welche Herausforderungen hatten Sie als dortige Geschäftsführerin zu meistern?

 

Dr. Heike Kahl: Die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung war 1994 eine Stiftung völlig neuen Typs. Sie hatte kein Vermögen, sondern musste für ihre Ziele und Zwecke alle finanziellen Mittel einwerben. Das wurde damals mit viel Skepsis bedacht.

 

Die Stiftung wurde zunächst gegründet, um den wegbrechenden Jugendhilfestrukturen im Osten Deutschlands etwas produktiv entgegenzusetzen.

 

Und drittens war das Besondere, dass sich die Stiftung von Anfang an als Kooperationsstiftung verstand, als konsequent auf die Zusammenarbeit der verschiedenen Verantwortungsträger für Jugend und Bildung zu setzen. Auch das war neu.

 

Gutes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen gelingt nicht, wenn alle in Zuständigkeitskategorien denken, sondern gemeinschaftlich Verantwortung übernehmen. Dafür war und ist die DKJS ein starker Motor. Längst arbeitet die Stiftung bundesweit und hat sich zu einer der wichtigsten Bildungsstiftungen in Deutschland entwickelt.

 

Die Stiftung setzt nicht auf Leuchttürme, sondern auf Verbreitung und Förderung wirkungsvoller Praxis. Teilhabe der jungen Zielgruppe ernsthaft zu betreiben, war ebenfalls ein herausforderndes Ziel. Diese Stiftung aufbauen und führen zu dürfen, war das größte Lebensgeschenk.

 

Letzte Fragen: Haben Sie noch Kontakt zur alten Heimat M-V, nach Rostock, Schwerin, Hiddensee? - Und: Die Niederländerin Jutta Leerdam wurde 2022 Weltmeisterin im Sprint-Vierkampf des Eisschnelllaufens, in diesem Wettbewerb wurden Sie ja 1975 Vize-Weltmeisterin. Verfolgen Sie das Eisschnelllauf-Geschehen noch?

 

Dr. Heike Kahl: Ich bin Mecklenburg-Vorpommern sehr verbunden, lebe zum großen Teil in einem kleinen Dorf in den Brohmer Bergen, liebe Menschen und die wunderschöne Natur. Und Rostock ist ein wichtiger Ankerpunkt geblieben. Eisschnelllaufen ist ein so ästhetischer Sport, ich verliebe mich immer aufs Neue in diese Sportart, wenn ich Läuferinnen und Läufer bei Übertragungen betrachte.

 

Vielen Dank und weiterhin alles erdenklich Gute!

 

Die Fragen stellte M.Michels.

 

 

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